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Delicate

  • Autorenbild: Nib & Ember
    Nib & Ember
  • 21. Okt.
  • 2 Min. Lesezeit

Wir stehen im Vorzimmer, bereiten uns vor zu gehen, als ich die grünen Pflanzen auf Augenhöhe sehe, frisch und lebendig wachsend, als würde sie sie mit freundlichen Worten und nicht mit Wasser gießen. Ich mache mir schnell eine geistige Notiz, dass es in ihrer Wohnung tatsächlich sehr viele Pflanzen gibt – im gemütlichen Zimmer, in dem wir gerade gefrühstückt haben, standen bestimmt einige.

„Sie kann nicht anders, selbst wenn sie wollte“, dachte ich. Diese Frau strahlt Leben aus, und alles, wofür sie verantwortlich ist, hat eine gedeihende Energie, die direkt in deine Augen leuchtet und scheint. Ihre Kinder sind der wahre Beweis dafür, aber wenn ich diese Pflanzen betrachte, diese fröhlichen kleinen Begleiter der Familie, begreife ich schnell: Es ist sie und ihre grenzenlose Energie als wahre Geberin, die in allem, was sie berührt, aufgenommen wird.


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Mein Zuhause füllte sich mit Pflanzen in verschiedenen Grössen und Farben. Sie brachte sie mir, und meine Reaktion war stets dieselbe: „Ich hoffe, sie schaffen’s“, schon mit ihrem langsamen Verfall vor Augen, weil es mir irgendwie nie gelingt, meine Gärten lebendig und gedeihend zu halten. Sie antwortet nicht; sie bringt mir jedes Mal nur mehr Blumen, und ich habe furchtbare Angst, dass sie unweigerlich sterben werden, also behandle ich sie wie kleine blühende Patienten, die Lebenserhaltungs­massnahmen benötigen – kleine Schals, damit sie warm bleiben, Wasser aus dem Filter, genug Sonnenlicht – fern von direkter Hitze und gut vor plötzlichen Winden verborgen.


Sie spricht mit mir freundlich, fürsorglich, aber ich weiss besser, als ihre Freundlichkeit mit Schwäche zu verwechseln. Sie hat eine so entschlossene und kraftvolle Art, dass ich längst weiss, welche Kämpfe es nicht wert sind, gegen sie geführt zu werden. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so nährend und zart von Natur ist, und doch durchs Leben geht wie ein chaotischer, aber geschickter Krieger. So sehe ich sie – eine Frau, eine Geberin, eine Heilerin, eine Soldatin.


Ein scharfer Verstand, ihrer ist’s. Ihr Humor regt zum Denken an. Ihr Schreiben – mitreissend. Ich frage mich oft, wie sie das macht, und manchmal lasse ich sie wissen, dass ich mich darüber wundere, aber ich habe sie nie direkt gefragt: Wie kannst du so eine Frau sein? Wie kannst du Tag für Tag diese Frau sein – ich höre dich nie wirklich klagen, ich sehe dich nie nach Hilfe suchen, ich könnte mir nie vorstellen, wie du langsamer wirst, und es erschreckt mich, weil wir alle unsere Grenzen haben – wie könntest du keine haben?


Sie geht ihren Tag, rettet die dünnen Lebensfäden davor, durchtrennt zu werden – sei es ein Igel, von einem Hund angegriffen, oder eine Freundin, die eine Freundin braucht. Eines Tages wird sie eine Geschichte darüber schreiben – eine bewegende, berührende Hommage an einen scheinbar gewöhnlichen Moment, der aussergewöhnlich fühlte, einfach weil sie die Augen hat, ihn zu erkennen, und das Herz, ihn zu fühlen. Und wenn du liest, was sie schreibt, kannst du sie tatsächlich ganz sehen.




NIB & Ember

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Nib and Ember | Wien

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