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Wenn die Blätter braun werden

  • Autorenbild: Nib & Ember
    Nib & Ember
  • 25. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

Hier ist, was mich im Herbst 2022 beschäftigte. Interessanterweise wiederholte sich die Geschichte auch in diesem Jahr:


Den ganzen Sommer über hatte ich auf diesen Moment gewartet – nicht unbedingt mit Vorfreude, sondern mit Neugier und Anerkennung. Braune Blätter bedeuteten, dass die „Dog Days“ vorbei waren.


Dieser Sommer war der intensivste und besonderste meines Lebens. Es war eine Zeit des Erwachens und der Heilung. Unerträglich einsam – und das war er vor allem, weil ich es so wollte.

Ich habe zwei Jahre in Therapie verbracht, und heute kann ich mit Sicherheit sagen, dass ich in dieser Zeit nicht geheilt bin. Ich habe gelernt, wie man heilt.

Ich habe zugehört, aufgenommen und geübt. Als ich mich stark genug fühlte, meine Gefühle allein weiter zu erforschen, begann die eigentliche Heilung. Aber sie wäre nicht möglich gewesen ohne das, was vorausging, und nicht ohne die richtigen mentalen Werkzeuge und das Wissen, wie man sie benutzt – all das hat mir meine Therapeutin vermittelt.


Für kurze Zeit – ein oder zwei Monate – erlebte ich Wellen von Offenbarungen über mein bisheriges Leben. Mein Geist machte einen Frühjahrsputz im Eiltempo: Er holte den gesamten Inhalt jeder Schublade ans Licht, damit ich alles gründlich betrachten und neu bewerten konnte. Dann konnte ich die Dinge wieder an ihren Platz legen – oder sie einfach wegwerfen.


Heilung ist eine einsame Reise


Wenn man sich ernsthaft auf Heilung einlässt, kommt unweigerlich der Moment, in dem zwei sehr wichtige Dinge geschehen:

Erstens braucht man nicht mehr die Zustimmung, Entschuldigung oder Sichtweise anderer. Jeder einzelne Freund oder Verwandte, dem man sich bislang anvertraut hat, erscheint einem aus den verschiedensten Gründen als ungeeignet – Therapeutinnen und Therapeuten eingeschlossen. Man ist überzeugt, es diesmal allein zu schaffen, sieht die Dinge klar so, wie sie sind – frei von Gefühlen und Vorurteilen.

Damit meine ich nicht, dass ich gar nichts mehr mit anderen geteilt habe. Ich rede viel und bin sehr offen und gesellig. Doch die wichtigsten Gedanken und Gefühle behalte ich immer für mich. Sie sind heilig.


Das Zweite ist entscheidend: Man erkennt, dass gerade die Menschen, denen man im Leben am meisten vertraut hat, auch diejenigen sind, die einen – bewusst oder unbewusst – am tiefsten verletzt und enttäuscht haben. Im Kern heilt man von ihrem Einfluss auf einen selbst.

Man muss Ordnung in die eigenen Gedanken und Gefühle bringen, ohne deren Meinungen oder Sichtweisen. Es geht nicht darum, etwas zu beweisen – es geht darum anzuerkennen, dass man vernachlässigt, bevormundet, missbraucht oder verspottet wurde – welche Narben auch immer zurückgeblieben sind.


Emotionale Missbrauchsmuster in den wichtigsten Beziehungen zu erkennen und vertraute Situationen in neuem Licht zu sehen – genau benennen zu können, was niemals hätte geschehen dürfen, was die eigenen Grenzen überschritten hat – ist einerseits wütend machend, andererseits für mich der Höhepunkt der Heilung.


Es stimmt, dass sich in dieser Phase Beziehungen nicht nur im Kopf, sondern auch in der Realität verändern. In den sozialen Medien gibt es unzählige inspirierende Zitate dazu. Man spricht von Energie, Schwingungen und Ähnlichem. Für mich läuft letztlich alles auf Respekt hinaus. Ich habe kein Interesse mehr daran, den Kontakt zu Menschen aufrechtzuerhalten, die mich missachtet haben und die, das weiß ich, dies auch in Zukunft wieder tun würden, wenn sie die Gelegenheit bekämen.


Ich will mein Wohlbefinden nicht zugunsten von irgendjemandem aufs Spiel setzen. Ich äußere meine Frustration – und das tue ich laut, manchmal sogar aggressiv. Hätte ich gewusst, dass ich mir auf diese Weise in manchen Beziehungen Respekt verschaffen könnte, in denen er fehlte, hätte ich es viel früher getan.


Die Wahrheit ist: Wir wissen es im Voraus nicht. Man glaubt Worte oder Ratschläge nicht wirklich, bis man diese Worte selbst lebt, diesen Rat selbst erfährt – und zwar aus sich selbst heraus.


Heilung ist einsam. Sie ist schmerzhaft. Sie kann sich wie ein Verrat an den Menschen anfühlen, die man liebt, und sie kann das Herz mit Wut auf das eigene Selbst erfüllen.

Doch Heilung ist auch eine unvorstellbare Quelle der Stärke. Beim Heilen verändern sich die Gewohnheiten, ungesunde Bewältigungsmechanismen weichen, und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wächst enorm. Das führt zu neuen Chancen, neuen Bekanntschaften, neuen Erfahrungen und einer Neuerfindung des eigenen Selbst. Schwierige und verletzende Situationen treten weiterhin auf, aber man glaubt, dass man sie überstehen kann – und man tut es tatsächlich. Diese neue Kraft nutzt man, um Resilienz aufzubauen.


Es ist kein Märchenland – es ist einfach das Leben im Hier und Jetzt und das Erkennen von Möglichkeiten, sobald man sie sieht.

Es ist, sich den eigenen Ängsten regelmäßig zu stellen und sie allein zu besiegen.

Es ist nicht freudvoll. Aber es ist erhellend.

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Nib and Ember | Wien

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